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Schmerzen

Es passiert immer samstags und immer in der Nacht.
Es war drei vor dreiviertel Zwei und ein bösartiges Ziehen hatte mich langsam aus dem Schlaf geholt.
Zahnschmerzen.
Mit der Zunge versuchte ich den Zahn zu lokalisieren. Links unten, hinten, vorletzter Zahn.
Die Berührung machte es schlimmer. Ein heftiges Pochen antwortete mir nun.
Etwas benommen stand ich auf. Ich hatte mich noch nicht so richtig an die Schwerkraft der Erde gewöhnt, die Muskeln versuchten immer noch, imaginäre Schiffsbewegungen auszugleichen, und so schwankte ich ins Bad.
Das heftig aufleuchtende Licht trieb mir zusätzliche Tränen in die Augen. Aber ich ignorierte es.
Der Spiegel hatte keine Zoomfunktion. Ich musste also mit der mageren optischen Tiefe auskommen.
Der Zahn sah aus wie immer. Ich hatte nicht übel Lust, ihn einfach rauszudrehen. Aber es war ein echter Zahn, kein Hochleistungsbeißer mit Diamantgewinde.
Ich hielt noch nie viel von Fummeleien an meinen Zähnen. Versiegeln, ja. Aber austauschen, das war dann doch zu viel.
Die Versiegelung musste nachgelassen haben. Mist.
Ich blickte mich böse im Spiegel an. Mist!

Schmerzmittel!

Irgendwo musste doch noch das Medipack sein.
Besonders sicher war ich mir nicht. Seit meiner Ankunft vor zwei Tagen, hatte ich eher locker gelebt. Entsprechend dünn waren meine Erinnerungen und meine Wohnung erzählte auch eine deutliche Sprache.
Mann, was für ein Chaos.
Ich wollte mich nach den herumliegenden Sachen bücken, doch ein heftiger Stich im Unterkiefer vereitelte mein Vorhaben und setzte mich auf den Boden.

Arzt!

Verdammt, es gab keinen Ausweg.
Wie ich diese Notlagen hasste, die einen völlig unvorbereitet in die gierigen Hände der heiligen Medizin lieferten.
Die peinlich genauen Untersuchungen an Bord waren Routine. Das Medlab durchleuchtete einen und das war’s. Mal irgendwas im Essen gegen fremde Viren und Sporen, oder im Anzug.

Aber ich hörte schon das Schnorcheln dieses ekligen Absaugers ...

Zwischen mehreren Plasmaexplosionen, die bis zum Ohr strahlten, zerrte ich mir irgendwas über und verließ das Haus.

"Zahnarzt", presste ich ins Armband-Komm.
Natürlich reichte das nicht.
"Notarzt, hab furchtbare Schmerzen!" Ein blödes Piepen antwortete mir.
"Ich kann selber hin, gib mir die nächste Praxis!".
Das dumme Ding an meinem Arm erwies sich stets als unbrauchbar an Land. In jedem Teil der Galaxis, auf jedem neuen Planet, stellte es ein es ein super nützliches Tool dar, aber in der Zivilisation, absolut wertlos. Entweder überschüttete es mich mit Werbung jeder Art oder es stand wegen Software-Updates im Wartungsmodus oder es explodierte fast vor Informationen, so wie jetzt.
Zumindest stand da eine Adresse. Konnte man mit dem Express erreichen.
Das Geld war mir völlig egal, denn die Schmerzen schlugen unbarmherzig abgrundtiefe Löcher in meinen Schädel.

Von meinem Haus waren es nur wenige Straßen bis zur Station. Die Stadt gab sich hell erleuchtet aber fast menschenleer.
Ein Reinigungsmech surrte an mir vorbei und verschlang Staub und Blätter. Seine Geschwindigkeit riss mich mit und wir erreichten fast gleichauf die Station. Sie war sogar sauber. Seit meinem letzten Landurlaub musste sich die Wohngegend verbessert haben.
Als ich durch den Scanner lief, kam mir schon ein kurzer Gedanke an die Rechnung, aber ich hatte gar keine Wahl. Der Notarzt praktizierte im Nachbarbezirk und für ein Krankenhaus reichte meine Versicherung nicht. An Bord befand ich mich immer in Vollversorgung, aber die "Streulicht" wartete im Dock auf Trauni 4.

Das Terminal war leer, ich hatte um diese Zeit auch keine Menschenmassen erwartet. Hier gab es kein Nachtleben. Nur diese Schmerzen.
Ich warf mich erschöpft in die Kabine und übermittelte den Transitpunkt, den mein Komm ermittelt hatte, und schon ging’s los. Expressfahren macht tierisch Spaß. Mit Zahnschmerzen merkt man erst mal so richtig die Beschleunigung. Jedenfalls war ich felsenfest davon überzeugt, dass die Absorber versagten und mir bei jedem Schwanken der Geschwindigkeit gnadenlos ins Zahnfleisch boxten.
Irgendwie ging die Fahrt dann zu Ende, ohne dass die Wange leichter wurde.

Aber die Praxis lag gleich gegenüber.
Ich erstürmte sie.
Notärzte sind nicht besonders schnell, merkte ich.
Nach einem müden "Augenblick!" lief ich stundenlang vor der Tür hin und her. Immer wieder kniff ich mir in den Unterarm oder trat mir auf die Zehen.

Als der blonde Jüngling die Tür endlich aufbekommen hatte, musste ich nichts mehr sagen.
Bin ich sonst immer recht vorsichtig beim Betreten des Zahnarztzimmers, hüpfte ich diesmal fast erfreut auf den Stuhl und öffnete meinen Mund, trotz entsetzlicher Ausbrüche mehrerer dort tätiger Vulkane.

Der Arzt konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
"Raumfahrer sind die härtesten!", und nach einem weiteren süffisanten Grinsen fragte er, "Wo tut’s denn weh?"
"Höhm", zeigte ich.
Zeitlupengleich nahm er die Sonde vom Tablett und schaltete das Display ein.
Die Finger in die Lehnenspitzen verkrallt, schloss ich die Augen.
Eine eiskalte Hand bog mein Kinn zurecht.

Ein Räuspern. "Wohl vor kurzem noch unendliche Weiten erforscht? Sie sollten mal auf den Schirm sehen!"
Das tat ich nie. Wer will schon seinem Folterer bei der Arbeit zusehen? Ich öffnete die Augen trotzdem.
In meinem riesigen roten Rachen prangte eine gelbliche Zahnwand.
Und mit tiefen Rillen in meinem Zahn entstand da langsam: H A L L O. W I R G R Ü ß E N D I E M E N S C H ...

Last updated 08.02.2005