Home / Die Tormenschen - Ket - 1
Tajan | Schreiblümchen | Om Ba | Ket | Glossar |
Ein Manipulator lebte für den Eingriff. Ket lebte eher für den Nichteingriff. Da seiner Meinung nach sich sowieso alles alleine korrigierte, wartete er mit seinen Eingriffen so lange, bis sie nicht mehr notwendig waren. Bedenklich stimmte ihn, das der Orden ihn für einen der Besten Manipulatoren hielt, die jemals im Kelch tätig waren. Das Leben im Kelch war geprägt von langen Meditationen, in denen hunderte von Manipulationen geplant und ihre Erfolgsaussichten berechnet wurden. Die Techniken waren uralt. Schon seit den grossen Torkriegen gab es keine Änderungen mehr in der Kelchroutine. Ket kannte sie alle: Die Phrase der Beständikeit, der Ewigkeit, der Zeitlosikeit und der abschliessenden Weisheit. Im Herzen der Manipulation gab es keine Veränderung. Zeit ist nur ein kleines Stück der Realität und nicht einmal das Wichtigste. In Vielem ist die Zeit auch nur der fixe Punkt, der alles abschliesst. Und selbst dieses Ende lässt sich korrigieren. Insofern ist die Zeit nicht mal besonders real, es gibt kein wirkliches Ende. In den vielen Jahren der Analyse und Bekämpfung von Tatsachen hatten die Manipulatoren jegliches Interesse an der Zeit verloren. Sie brachten ihr nicht einmal mehr Achtung entgegen. In vielen Bereichen des Kelches war es sogar verpönt, die Zeit zu messen. |
Ein Auftrag wurde erfüllt, dann ein weiterer, noch einer...
Es war eine Befragung der Realität in ihrer klarsten Substanz, einem Zustand, der nur in der
Gegenwart wirklich war. Für das Erinneren oder die Visionen der Zukunft ist sie nicht notwendig,
denn die Vergangenheit ist nicht zu ändern. Die Gestaltung der Zukunft enspringt dem eigenen
Wirken, welche Vorstellung man auch von ihr hat.
Ket hatte sich schon früh am Morgen zum goldenen Aufzug begeben. Wie zu erwarten, standen
bereits einige Arbeiter in einer ordentlichen Schlange vor dem alten Häuschen der Kelchstation.
Normalerweise herrschte dabei eine verträumte Stille, mit Gähnen und brummigen
Morgengrüssen, doch heute dominierte eine so intensive Aufregung in den heftigen
Gesprächen, das Ket lächeln musste.
Heute wurde die Strebe vollendet.
Unwillkürlich schaute er nach oben. Weit über ihm verdeckte der breite Schatten bereits
vollständig den Balken. Die Lücke des letzten noch fehlenden Segmentes war vom Kelch aus
nicht nicht zu sehen, aber die hellen Lichter der Baustelle schon. Zudem befand sich der dunkle
Strich des goldenen Aufzuges genau in der Mitte der Strebe - dort wo heute die letzte grosse
Leistung der Tormenschen vollendet werden würde.
Kets Lächeln verschwand.
Ein Tag des Triumpfes, und doch das Ende.
Die lange Fahrt mit dem Aufzug nahm er gar nicht wahr. Der Rausch, den der Anblick des Tores
erzeugt, fährt man in seiner Mitte nach oben - mit freier Sicht auf die fernen Säulen,
hatte Kets Bewustsein noch nie getrübt. Das Tor war für viele Menschen zu gross, es wirklich
zu erfassen. Ket aber sah noch viel mehr: Er hatte den Schatten des Tore auf der Oberfläche
wandern sehen.
Den Schatten und seine Begleiter.
Last updated 04.10.2004