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Esruell

Es gelang ihnen nicht, ihren Schritten die gewohnte Leichtfüßigkeit zu geben. Die scharfkantigen Basaltbrocken schnitten tief in die feingearbeiteten Lederschuhe des Elfentrupps. Inzwischen mussten sie die Sohlen mit Lederstreifen verstärken, denn eine blutige Fährte zu hinterlassen, wäre tödlich. Der sonst so elegante, fast tänzerische Gang der Jäger war einem zögerlichen Schleichen gewichen. Sie spürten, wie unwillkommen sie in dem schrundigen Bergland waren. Die fünf Elfen zogen schon den dritten Tag durch das karge Hochland. Sie folgten einem verschlungenen, kaum noch gangbaren Weg, der sie immer tiefe in das drohende Eingeweide des karstigen Gebirges führte, das sie Alon’thrathir – Pass der Hinterlist nannten.
Je weiter sie vordrangen, desto sicherer wurde sich Esruell, das jener Name tatsächlich auf einen Weg in das nördliche Elfenreich, das verschollene Land der Vorväter, hinwies. Mit Mühe nur war es dem jungen Adligen gelungen, Begleiter für diese Expedition zu finden, denn Alon’thrathir erhob sich in Zwergenland. Es gab nur wenige Legenden, die düsterer und schrecklicher klangen, als die über das Grauen Alon’thrathirs. So fand er Abenteuerlust statt Mut und heißes Blut anstelle sicherer Erfahrung. Doch in Esruells Geist gab es keinen Platz für Unsicherheit. Er sah seine Heimat im Gestank der Zeit verschwinden, dunkler Verfall trübte die lichten Elfenstädte und ihre Bewohner lebten in ewiggleicher Bedürfnislosigkeit. So stand der Entschluss fest, ein neues Zeitalter zu beginnen, das Reich der Vorfahren würde ein Schlüssel sein, der den großen Pläne des Elfen den Weg aufschloss.
Die Schatten der Felsen wurden länger, ihre scharf aufragenden Wände rückten immer dichter in den schmalen Pfad. Inuson und Gahwé bildeten die Vorhut, während Amtrell und Malanthon ihrem Anführer dichtauf folgten. Der lange Marsch hatte schon mehr von ihnen gefordert, als es die Elfen bisher geben mussten, keiner von ihnen hatte seine Füße bisher auf solch harte Probe gestellt.
Esruell hob die rechte Hand. Seine spitzen Ohren zuckten, als er versuchte, die widersprüchlichen Geräusche zu orten.
Das steinerne Labyrinth narrte den feinen Hörsinn des Elfen immer wieder. Ein kleiner Stein schlug mit der Gewalt einer Lawine zu Boden, während ein großer Brocken mit einem leisen Rasseln zur Ruhe kam. So verloren die Männer ihr Zutrauen, und Angst schlich in ihre Herzen. Die Elfen blieben stehen. Es rumorte in der Steilwand vor ihnen. Fünf Pfeile wurden aus schlecht gefüllten Köchern gerissen. Schlanke Ahornbögen ließen ihre Sehnen zittern. Die Elfen waren trotz eines mulmigen Gefühles entschlossen und kampfbereit.
Da brach vor ihnen eine schwere Gestalt aus der massiven Wand und die tödlichen Geschosse schnellten ihr zielsicher entgegen, dann brach auch schon ein wuchtiger Kreisel an Klingen in die Elfen. Mit dem Bogen wehrte Esruell die ersten Schläge ab, dann hatte er sein Schwert gezogen und drehte sich in eine festere Verteidigungsposition. Sein Gegner war nun deutlich zu erkennen.
Ein Zwerg.
Er brüllte infernalisch wie eine riesige Armee zu Schlachtbeginn und verbreitete noch schlimmeren Gestank, doch Esruell hatte keine Zeit, seiner Nase Schonung zu verschaffen, schon lag Amtraell zerschmettert unter den dicken Zwergenstiefeln. Obwohl der Zwerg kaum bis an die Brust der Elfen aufragte, schleuderte er doch mit großer Reichweite das Verderben auf sie. Mit seinem wilden Rundschlag warf der Hammer des Zwerges zwei weitere Elfen leblos zurück, eine schnelle Finte Inusons prallte am Helm des Berserkers wirkungslos ab. Esruell gelang es gerade noch, dem erneut kreisenden Hammer auszuweichen, da verlor der Zwerg das Gleichgewicht, nein, er ließ sich einfach fallen, die blitzenden Stacheln seiner Rüstung bohrten sich in den zusammenbrechenden Inuson.
Ein heißer Schwall Blut ergoss sich über Esruell und blendete ihn kurz, er sah den Schatten des Schlages noch, dann war es vorbei.
Im fahlen Gegenlicht des Abends löste sich der Odem der erschlagenen Elfen von den mageren Körpern und gierig trank der Berg die süßen Leben.
Der Zwerg stand still und beobachtete das fette Mahl. Brôn pustete heftig. Das ist kein Ort für Elfen! Sacht schlug er mit dem Hammer an den Felsen, vor dem die blutenden Elfen erkalteten. Der alte Graustein hatte lange gedürstet. Und er schien noch nicht zufrieden: Ein Raunen schüttelte das schrundige Massiv. Ein Elfenharnisch rutschte einen kleinen Absatz herab und darunter kam die heftig pumpende Brust eines Elfen zum Vorschein.
„Lebt noch einer!“, und Brôn erhob den Hammer, um das Werk zu beenden. Ein heftiger Erdstoß warf ihn um.
Die großen Gesteinsbrocken am Rande des Pfades rissen über mehrere Meter auf, metallisches Gleißen strömte aus dem alten Fleisch des Berges.
„Graustein, Du alter Steinhaufen! Was schenkst Du mir da?“ Hastig sprang der untersetzte Zwerg auf, zwei Elfenpfeile brachen dabei aus den Schichten seiner Rüstung und mischten ihren hölzernen Klang in ein begeistertes Brummeln.
Mit dem Hammer weitete der Zwerg die Risse, bis er mit einem kleineren Meißel begann Brocken funkelnden Erzes aus dem Stein zu brechen. In den Beuteln und Taschen, die rings um seinen runden Leib hingen, förderte Brôn allerlei Werkzeug zu Tage. Mit einem festen Strick band er den bewusstlosen Elfen zu einem schlanken Paket und trug ihn zu einer kleinen Rille etwas unterhalb des Schlachtfeldes auf dem Pfad.
Dann begann er sorgfältig Gestein und Erz von einander zu trennen. Er hatte in etwa eine Ahnung, was der alte Berg hier geschehen lassen wollte und so bereitete er eine kleine Schmelze vor. Da er nicht genug Kohle in seinen Beintaschen fand, schlug er mehrere Brandrunen in kleine Kiesel und legte sie in das provisorische Glutbecken. Als Kohle und Runen in weißem Glühen brannten, kam ein leichter Wind im schmalen Spalt des Pfades auf. Mit einem tiefen Singsang beschwor der Berg uralte Kräfte, das Fliessen ihrer Macht verdickte die Luft.
Brôn nahm die Anwesenheit alter Magien nur undeutlich wahr. Während er das Erhitzen der Mischung überwachte, kreisten seine Gedanken in den Tiefen des Gebirges, in jenen Gängen, die er seit Jahren bewohnte und aus deren Übersichtlichkeit er in das weite Chaos der Welt gebrochen war. Er spürte, dass er mehr dort zurückgelassen hatte, als alte Erinnerungen. Das kalte Herz des Berges hatte auch ihn abgekühlt. Die brennende Hitze der Schmelze aber war nicht in diesen Panzer gebrochen, diese Bresche hatte der Kampf mit den Elfen geschlagen. Er hatte sich dem natürlichen Hass mit einer wilden Inbrunst hingegeben, die ihn frei machte, die seine Adern durchspülte, die alte Schlacke der Vergangenheit abkratzte und hinwegfegte. Es war Zeit, die Leere aus seiner Brust zu vertreiben. Inzwischen kochte das Metall und er begann es mit Kristallen zu veredeln.
Auf jeden Fall mußte etwas Mondstein hinein, wegen der festen Basis. Dann natürlch Rosenquarz, für die Stimmung und das Herz. Lapislazuli und Aquamarin sollten der Waffe eine Aura des Gebrülls geben, die Gegner in die Flucht schlagen würde und ihnen die Sprache raubt. Nach kurzem Zögern warf er das letzte Barthaar seines Vaters mit in die Schmelze, es übertrug ein tiefes Rot in den dampfenden Brodem.
Mit höchster Konzentration hämmerte er Rune für Rune in den felsigen Untergrund um das Elfenbündel. Einmal nur kurz schaute er auf, der Elf war erwacht und seine blitzenden Augen platzten schier vor Angst.
Doch sie waren das Einzige, was Esruell bewegen konnte. Esruell hatte sich allen Gefahren gewappnet gefühlt, aber einer wahnsinnigen Kreatur wie diesem Zwerg ausgeliefert zu sein, wehrlos gefesselt, das versetze ihn in Panik. Er spürte seinen Körper als eine große Quelle fürchterlichen Schmerzes und er konnte nicht einmal schreien. Der Zwerg hatte beim Fesseln auf keinerlei Wunden des Elfen Rücksicht genommen oder gar Knochen und Sehnen in natürliche Positionen gebracht. So lag Esruell hilflos gebrochen im tanzenden Licht der Glut, den stinkenden Atem des Zwerges beständig in der Nase. Und dieser Geruch war so stark, dass er Esruell immer wieder aus der nahen Bewusstlosigkeit riss. Mit Grauen erkannte der Elf, dass hier höhere Mächte ein übles Spiel mit ihm trieben. Alle seine heilenden Gesänge und Zauber waren vergessen, verloren hinter einem Ozean aus Qual und Schmerz. Dieser starke Elfengeist, der seinem Volk eine Zukunft geben wollte, ertrank in den Wellen des Untergangs.
Brôn schlug die letzte Kerbe in den Untergrund. Sofort füllten sich die Linien mit grünem Licht. Der Runenspruch stand nun deutlich um den gefesselten Elfen. Mit einer verrußten Kelle schöpfte der Zwergenschmied das rote Metall und kniete sich über den Elf, die Runen sorgsam unbedeckt lassend.
Langsam leerte er die Kelle. Der Singsang des Berges schwoll zu einem Orkan wilder Laute an. Der Dampf auf dem Elfenkörper wurde schwarz und dicht wie der Basalt des Berges. Das Licht der Schmelze färbte sich durch das grüne Leuchten der Runen zu blendender Helligkeit und in dieser Strahlung veränderte der in Metall gegossene Leib des Elfen seine Form, er wurde schlanker und kürzer. Die verkohlten Fesseln verschwanden, die gebrannte Haut verband sich mit dem Metall und durchdrang den Körper ganz. Der spitze Elfenkopf verflachte und bekam einen runenbesetzten Bogen.
In der Mulde lag eine Axt.
Ergriffen und überwältigt von der Erhabenheit des Moments nahm Brôn die schlanke Waffe in die Hand. Sie war leicht, wie ein Elf.
Die schwieligen Zwergenpranken strichen über das glatte warme Heft, prüften die Schärfe der Schneide und mit dem angeborenen Verständnis für geschmiedetes Erz erkannte der Zwerg das eingeschlossene Geheimnis seiner magischen Axt.

Esruell hatte Hunger. Er verspürte eine Gier nach Leben, eine vage Hoffnung auf eine andere Existenz, auf eine unbegreifliche Seinsform.
Esruell wollte Elfenblut.

Durch die unheimliche Verbindung mit Esruell, dem Doppelgeschöpf, vernahm Brôn die Legenden der verschollenen Elfen...

Brôn

Last updated 11.05.2005